July 21, 2023

The Negative Space –

‘Aftersun’

Hi Zooliners,

willkommen im "Negative Space". Von Film bis Digital, von Korea bis Irland, von Indie bis Blockbuster – wir möchten über Kino reden. Gewiss, an Film-Blogs ist das Internet nicht arm. Aber indem wir unsere Leidenschaft für neue Leinwandprojekte in Worte fassen, hoffen wir, Diskussionen anzuheizen, kleinere Filme nach vorne zu schubsen und unsere Wertschätzung für diejenigen zu zeigen, die so viel geben, um ihre Vision Realität werden zu lassen.

Die Anerkennung kleiner-großer Filmemacher in einer Zeit, in der die Kunstform im Hintergrund von Streamern und in einer endlosen Flut des von ihnen produzierten "Content" kämpft, ist wichtig. Keine Frage: Film ist die bestimmende Kunstform unserer Zeit – und betritt eine neue Ära. Während ich dies schreibe, befinden sich Schauspieler*innen und Autor*innen in den USA im Streik – das letzte Mal, dass deren Gewerkschaften gleichzeitig streikten, war 1960. Beide Berufsgruppen kämpfen für Verträge, die verhindern, dass KI sie bei ihrer Arbeit ersetzen wird. Sie fordern faire Löhne und prangern die absurden Gehaltsschecks an, die jene an der Spitze erhalten. Fight on!

Hollywood-Manager und Medienkonzerne bestimmen in vielerlei Hinsicht, was wir uns ansehen, und sie haben eine erstaunliche Gier bei gleichzeitig lähmendem Mangel an Vorstellungskraft demonstriert. Vielleicht ist jetzt eine gute Zeit, so geschehen bereits in den 70ern und 90ern, um dem Establishment den Kampf anzusagen und neue Indie-Projekte in den Mittelpunkt zu rücken. Okay, radikale Veränderungen dürfen wir wahrscheinlich nicht erwarten. Aber fest steht: Die Zukunft ist unsicher, und der ständige Kampf um die Aufmerksamkeit der Zuschauenden mit "Unterhaltung" verdünnt die Qualität dessen, was uns vorgesetzt wird.

Wir möchten, dass unser Blog ein Ort ist, an dem wir gemeinsam die bemerkenswerten Filme bewundern können, die in diesen turbulenten Zeiten entstehen. Von geradezu epischen Werken bis hin zu ruhigen Dramen pulsiert Kino nach wie vor, und es gibt einige bemerkenswerte neue Stimmen, die zu seiner Geschichte beitragen. So zum Beispiel Charlotte Wells und ihr erster Spielfilm “Aftersun” (2022).

Ein Camcorder, 35mm & zum Greifen nahe Erinnerung in ‘Aftersun’

Es gibt einen Moment am Ende von “Aftersun”, in dem Calum, gespielt von Paul Mescal, eine entwickelnde Polaroid-Aufnahme mit der noch weißen Oberfläche nach oben auf den Tisch neben sich legt. Calum spricht mit seiner Tochter Sophie, gespielt von Frankie Corio, über den gemeinsam verbrachten Urlaub. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich auf das entwickelnde Foto. Die Kamera verharrt und verharrt, während auf der Polaroid-Aufnahme die beiden Figuren langsam im nebligen blauen Dunst erscheinen. Dann fragt Sophie außerhalb des Bildes ihren Vater: "Können wir nicht einfach hier bleiben?"

“Aftersun” ist ein Film über Erinnerungen. Die Erinnerung an einen Urlaub, die Erinnerung an eine Kindheit, die Erinnerung an einen Vater. Die filmischen Entscheidungen von Wells und ihrem Kameramann Gregory Oke spiegeln dieses Motiv bereits in der allerersten Entscheidung wider, die sie gemeinsam trafen: “Aftersun” auf Film zu drehen. Die beiden mussten im Vorfeld der Dreharbeiten hart kämpfen, damit der Film auf 35-mm-Material gedreht wurde – sehr zum Missfallen des Studios. Und in diesem kleinen Moment, in dem eine Polaroid-Aufnahme entsteht, werden wir als Zuschauende mit dem vielleicht besten Grund konfrontiert, warum die beiden Filmschaffenden goldrichtig lagen – dem greifbaren Gefühl von Erinnerung, das nur Film vermitteln kann.

Film besteht aus 24 einzelnen Bildern pro Sekunde oder, wie es Jean-Luc Godard ausdrückte: "Fotografie ist Wahrheit. Kino ist Wahrheit vierundzwanzigmal pro Sekunde." Wenn ein Foto im Film zum Leben erwacht, sehen wir beide Wahrheiten verwirklicht. Und obwohl Sophie mit ihrer Frage eigentlich das Hotel und den gemeinsamen Urlaub anspricht, ist ihre Bitte im Kontrast zu dem Foto eine wunderbare Metapher für Erinnerungen, den Lauf der Zeit und die langanhaltende Wirkung des Films.

“Aftersun” ist die traumähnliche Darstellung eines Urlaubs. Die 11-jährige Sophie aus Edinburgh macht zusammen mit ihrem 30-jährigen Vater Calum Sommerurlaub in der Türkei. Calum ist nach der Trennung von Sophies Mutter nach London gezogen. Die Reise ist eine Gelegenheit für Vater und Tochter, Zeit miteinander zu verbringen. Sophie hält den Urlaub mit einer Mini-DV-Kamera fest, und die Aufnahmen werden effektvoll im gesamten Film eingestreut. Außerdem ist sie ziemlich geschickt darin, Selfies damit zu machen.

Soweit zu Überbau und Handlung, von der der Film allerdings nicht angetrieben ist. “Aftersun” besteht aus einer Abfolge von Sequenzen und vermittelt dem Publikum nach und nach ein Verständnis für die komplexe Beziehung zwischen Vater und Tochter. Dabei erfahren wir auch, dass die ältere Sophie, mittlerweile 31 Jahre alt (im Alter, in dem ihr Vater damals mit ihr urlaubte), die Aufnahmen ihrer Reise nach 20 Jahren erneut betrachtet. Sie sucht darin nach einem tieferen Verständnis für den Mann, an den sie sich erinnert. Denn obwohl Calum nach außen hin ein guter und liebevoller Vater ist, kämpft er mit einer lähmenden Depression, die ihm im Laufe ihrer Reise immer schwerer zu verbergen fällt.

Aber natürlich ist Sophie erst 11 Jahre alt. Und dem Film gelingt es auf eindrucksvolle Weise, ihre Sichtweise für das Publikum darzustellen (obwohl dies nicht die einzige Perspektive des Films ist). Ihr Vater wird oft aus tieferen Blickwinkeln gezeigt, durch Spiegel betrachtet, sein Gesicht verdeckt oder sein Körper in Silhouette dargestellt. Er ist in vielerlei Hinsicht ein Rätsel für Sophie. Erst später im Leben kann sie versuchen, die Wahrheit über ihn zu begreifen, auch wenn sie als Anhaltspunkte nur Aufnahmen von minderer Qualität aus dem Camcorder hat.

Während die erwachsene Sophie ihren Urlaub Revue passieren lässt, sucht sie im Gesicht ihres Vaters nach Momenten des Schmerzes, vielleicht einem gefälschten Lächeln, einer Grimasse, einer Veränderung im Tonfall – alles, was ihr mehr verraten könnte. In den Händen von Charlotte Wells ist all das möglich. Ihre Charaktere sind so echt und glaubwürdig, Sophies Perspektive ist so präzise, dass wir uns in einer sehr ähnlichen Position wie sie selbst befinden. “Aftersun” ist nicht daran interessiert, Antworten für das Publikum zu liefern. Es erfordert Geduld und Einsatz, aber wir sind ermutigt, unsere eigene Interpretation dessen, was wir sehen, zu finden. Zwei außergewöhnliche Darbietungen schenken uns viele kleine Momente, die wir untersuchen können, und der Anziehungskraft der Vater-Tochter-Beziehung können wir uns nicht entziehen.

So sind wir am Ende Verbündete in Sophies Ermittlungen. Wir beginnen, Calums Körpersprache zu analysieren, und suchen nach unseren eigenen Antworten. Der Film verwirrt uns weiter mit eindrucksvollen Sequenzen, in denen Calum in einem überfüllten Club tanzt, Stroboskoplichter pulsieren und eine Frau in der Menge verzweifelt nach ihm sucht – Zeit und Ort unbekannt. All diese verschiedenen Zeitleisten und Sequenzen werden gegeneinander gestellt und schaffen eine wirklich einzigartige Vision eines Films. Ein Film, der seinem Publikum die fehlerhafte Natur von Erinnerung vermitteln möchte. Wir können uns irren, neue Unwahrheiten erschaffen und in unseren Gedanken durch die Zeit wandern. Bilder flimmern vorbei wie körnige Aufnahmen auf einem billigen Camcorder.

Grüße on top, vom Zoo Kid On The Blog

The Negative Space – Aftersun

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